Lateinische Texte zur Mettener Lokalgeschichte
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Metama Latina
Abt Dr. Augustin Mayer (Absolvia 1930)
Das Latein in der Kirche
Das Thema ist ebenso vielschichtig wie explosiv. Eine kurze historische Besinnung zeigt, daß die Kirche der Apostel, jedenfalls was die Heidenkirche angeht, "ohne ängstliche Bewahrungstendenzen gegenüber der Sprache Jesu und des Alten Testamentes" (K. Rahner) die Koine übernahm, in der damit das Wort Gottes im Neuen Testament uns vorliegt. In der römischen Kirche setzte sich im 3. und 4. Jahrhundert das Latein auch in der Liturgie durch, nachdem schon viel früher wahrscheinlich in Nordafrika die altlateinische Bibelübersetzung begonnen war und Tertullian einen christlich-lateinischen Sprachschatz geschaffen hatte. Latein wurde die Sprache des vom römischen Bischof ausgeübten obersten Lehr- und Hirtenamtes und der großen lateinischen Kirchenväter in jener ersten Blüteperiode des christlichen Humanismus, der seine hervorragenden Vertreter in Paulinus von Nola, Ambrosius, Prudentius, Hieronymus, Augustinus und anderen bis zu Gregor dem Großen hat. In diesem "Latein der Christen" (Chr. Mohrmann) hat die Kirche die christlich-antike Bildung dem Mittelalter übergeben. Durch die Kirche wurde Latein die Sprache des gebildeten Europa zwischen dem 7. und dem 14. Jahrhundert, von Boethius bis Dante. Dieses mittelalterliche Latein war sowohl Kirchensprache wie Gelehrtensprache: Kirchensprache, weil die Glaubenssymbole, die Liturgie, die Gesetzgebung, die theologische und aszetische Literatur lateinisch waren, ungezählte Generationen vertraut geworden durch die Sprache der mittelalterlichen Hymnen (Ave maris stella, Dies irae, Stabat Mater, die eucharistischen Hymnen des hl. Thomas), im Latein der Sakramentare und des Breviers, im Latein der großen mittelalterlichen Autoren von Beda, Alkuin, Rabanus Maurus zu der Summa des Aquinaten und zum "Itinerarium mentis in Deum" des hl. Bonaventura; Latein war auch die Gelehrtensprache im Mittelalter und blieb es unter dem fortwirkenden Einfluß des Humanismus sogar bis ins 18. Jahrhundert, auch nachdem die Kirche das Monopol der Bildung längst verloren hatte.
Der Humanismus, dessen positive Leistungen hier nicht in Frage gestellt werden sollen, brachte für das Latein im kirchlichen Raum nicht nur eine erfreuliche Wiederbelebung und Verfeinerung, sondern auch eine bedauerlich einseitige Ausrichtung nach den "auctores" der sog. goldenen Periode der lateinischen Literatur, mit der darin enthaltenen "Unterschlagung eines ganzen Jahrtausends" lateinisch-christlichen Schrifttums und dem unter UrbanVIII. unternommenen Versuch, den Hymnen des Breviers klassische Ausdrucksformen und gelegentlich auch andere Versmaße aufzuzwingen. "Accessit Latinitas, recessit pietas" urteilten schon die Zeitgenossen. Was nach diesem paganisierenden Eingriff noch an kirchlicher lateinischer Hymnographie entstand, ist nach dem Urteil eines Fachmannes, eine "Eiswüste". Es war immer ein Stolz des benediktinischen Mönchtums, daß es den alten Hymnen treu geblieben war.
In neuerer Zeit hat die von vielen Seiten angefochtene humanistische Bildung nicht zuletzt in der Kirche einen beredten Anwalt gefunden. Schon um die Mitte des vorigen Jahrhunderts hat eine stattliche Reihe von Provinzialsynoden sich sehr energisch gegen eine Vernachlässigung des Lateinunterrichtes gewandt; in neuester Zeit haben die Päpste selbst in sehr entschiedener Form die Verteidigung des Lateinstudiums übernommen, sicher zuerst im Hinblick auf seine Bedeutung für die Priesterbildungl, aber auch mit Rücksicht auf seine allgemeine kulturelle Bedeutung, besonders im europäischen Raum und vor allem für Italien 2.
In der Vorbereitungszeit auf das Konzil waren auch viele Fragen um das Latein im Leben der heutigen Kirche gestellt worden. Konnte man Latein als die Kirchensprache bezeichnen oder wenigstens als die Sprache der Kirche des lateinischen Ritus? Ist dabei nicht ein gerade vom Konzil überwundener, zu enger Begriff der Kirche (= Klerus) irgendwie vorausgesetzt? Kann der Anspruch aufrechterhalten werden, daß Latein im Raum der Kirche nicht schlechthin eine tote Sprache, sondern in einem gewissen Sinn noch lebendig ist? Besonders brennend waren die Fragen nach der Stellung des Lateins in der Liturgie und die Abgleichung seines auch heute noch fruchtbaren, keineswegs nur "musealen", wenn auch eingeschränkten und nach besonderen Gegebenheiten differenzierten Gebrauchs mit den unabweisbaren Anliegen der Verkündigung und der aktiven, bewußten und gemeinschaftlichen Teilnahme des ganzen Volkes Gottes am liturgischen Beten. Welche Rücksichten sind auf die uns endlich wieder näherkommenden ehrwürdigen Ostkirchen und die evangelischen kirchlichen Gemeinschaften zu nehmen? Nicht leicht zu beantworten war aber auch die Frage, welche Ausbildung im Latein für die kommenden Priester zu fordern sei. Muß nicht differenziert werden, je nachdem ob Latein (und Griechisch) in einem Kulturraum auch die Sprachen der eigenen geschichtlichen Vergangenheit und der kulturellen Tradition ist oder ob wie etwa in Indien, China, Japan, eine eigene klassische Tradition zu hüten und zu pflegen ist? Muß der angehende Theologe soweit Latein kennen, daß er es als Verkehrs- und Verwaltungssprache der Amtskirche versteht und unmittelbaren Zugang zu den unerschöpflich reichen lateinischen Texten hat, oder sollte Latein auch heute noch die Sprache theologischen Unterrichtes und theologischer Forschung sein? Karl Rahner hat vor Beginn des Konzils zu solchen Fragen Stellung genommen3. Er wandte sich mit Recht gegen die in der Konstitution "Veterum Sapientia" (22.2.1962) vorübergehend urgierte Vorschrift, daß die philosophischen und theologischen Hauptfächer an den kirchlichen Fakultäten und Seminaren überall lateinisch zu dozieren seien. Sicher kann man für die an den römischen Hochschulen geübte Praxis auch beachtliche Gründe anführen. Aber bei einer allgemeinen Durchsetzung der lateinischen Vorlesungssprache wären die Nachteile für die Theologie doch ungleich größer gewesen. Die jüngst ergangenen Normen der Kongregation für Katholische Erziehung geben den Fakultäten in der Sprachenfrage die nötige Freiheit4. Es soll aber auch nicht verschwiegen werden, daß Theologen aus afrikanischen Ländern des öfteren die aus Europa oder Amerika stammenden Kleriker durch ihre Lateinkenntnisse beschämen. So hat vor einigen Jahren in einem Spezialkurs des monastischen Instituts in S. Anselmo (Rom) durch zwei Vorlesungen hindurch ein afrikanischer Hörer seine Entwicklung vom Lehrling eines Zauberers im Busch zum Benediktinermönch in gutem Latein beschrieben.
Da der hier gegebene Rahmen ein Aufrollen aller Fragen nicht gestattet, beschränke ich mich auf einige Erfahrungen aus der Konzilszeit. Sie hat erwiesen, was Latein immer noch als Verkehrssprache der Kirche bedeuten kann. Es hatte auch diesbezüglich nicht an sehr düsteren Prognosen gefehlt. Ein durch sein Sozialapostolat weltbekannter brasilianischer Erzbischof, damals noch Weihbischof in Rio de Janeiro, schrieb in einem Votum der Vorbereitungsperiode (1959), man werde mit allen Kräften verhindern müssen, daß Latein die einzige Sprache auf dem Konzil werde. Außerhalb der römischen Kurie und der päpstlichen Hochschulen in der Heiligen Stadt könnten nur ganz wenige Leute noch frei Latein schreiben und sprechen. In seinem Lande seien von hundert Bischöfen vielleicht ganze fünf dazu fähig, und anderswo, glaube er, stehe es nicht besser.
Tatsächlich haben dann außer dem streitbaren Patriarchen von Antiochia und späteren Kardinal Maximos IV. Saigh alle Väter Latein gesprochen; natürlich nicht immer mit der geschliffenen Eleganz, der Leichtigkeit und gelegentlich Beifallsstürme auslösenden humorvollen Liebenswürdigkeit des Generalsekretärs, S. E. Pericle Felici, aber doch mit einer von Sitzung zu Sitzung sich steigernden Sicherheit und schließlich mit einer gewissen Selbstverständlichkeit. Daß Übung den Meister mache, Schwierigkeiten mit Einsatz und Vertrauen zu überwinden seien, hatten viele der Bischöfe als ehemalige Professoren ihren Schülern wohl oft genug gesagt; sie erfuhren es jetzt selber, und mancher gab am Ende der 4. Sitzungsperiode zu, er habe nie zu hoffen gewagt, daß die Verständigung der Gesamtkirche in Latein so gut gelingen würde. Freilich war es meist nicht die hochgestochene Sprache eines Cicero, sondern wie der große Latinist im Heiligen Kollegium, Kardinal Bacci, mit etwas Selbstverleugnung vorausgesetzt hatte, jenes "leichtere, gelöstere, zugänglichere Latein, das die Väter und Kirchenlehrer nach den Erfordernissen neuer Zeiten geformt hatten".
In der schriftlichen Ausarbeitung der den Vätern vorzulegenden Konzilsentwürfe suchten die Kommissionen höheren Ansprüchen zu genügen. Um moderne Ausdrücke wiederzugeben, nahm man nicht selten Zuflucht zu dem vom genannten Kardinal verfaßten "Lexicon eorum vocabulariorum, quae difficilius Latine redduntur", konnte dabei aber auch unliebsame Überraschungen erleben. So hatte unsere Kommission für Studien und Seminare im Dekretsentwurf des Jahres 1963 betonen wollen, wie entscheidend für die Erneuerung der Priesterbildung die Erziehung zu persönlichem Verantwortungsbewußtsein ("cresat in eis actionum officiorumque conscientia") und die Weckung der Eigeninitiative sei ("opera ultro sponteque incipiendi eis concedatur facultas") Von einem Kardinal aus USA wurde uns tiefe Enttäuschung und größtes Bedauern darüber ausgesprochen, daß dem Entwurf jeder Hinweis auf die Entfaltung persönlichen Verantwortungsbewußtseins fehle: "the sense of responsibility and the spirit of initiative" waren in den klassischen Umschreibungen nicht mehr kenntlich geworden.
Die Konstitution Johannes XXIII. "Veterum Sapientia" (vom 22.2. 1962) hat das Verdienst, in Rom die Errichtung eines "Pontificium Institutum altioris Latinitatis" angeregt zu haben, dem es obliegt, nicht nur die besten Traditionen lateinischer und griechischer Bildung aufrechtzuerhalten, sondern auch für eine dem Geist des Lateins entsprechende Weiterentwicklung des lateinischen Wortschatzes Sorge zu tragen, wie sie die Kirche für die ihr eigene Verkehrssprache dringend braucht. Denn keine Institution ist mit dem Latein in all seiner vielfältigen und glorreichen Geschichte so verbunden wie die Kirche.
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Nachdrücklich hat Pius XII. vor dem Generalkapitel der unbeschuhten Karmeliten ausgesprochen (23. 9. 1951): Quid digne celebret hunc imperialem sermonem, qui vera non enuntiat sed sculpit, qui in edictis et sententiis peculiari splendet gravitate, qui in Latina Ecclesia liturgico fruitur usu, qui denique Catholicae Ecclesiae est magni pretii vinculum?Enimvero latina lingua, itemque et graeca, cui tot ecclesiastica scripta, iam a prisco christiano aevo, commissa sunt, thesaurus est incomparandae praestantiae; quare sacrorum administer qui eam ignorat, reputandus est lamentabili mentis laborare squalore.
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So hat Paul Vl. vor dem neuen Bürgermeister von Rom, Dr. Rinaldo Santini, am 18.1. 1968 es beklagt, daß die letzte Schulreform das Latein praktisch aus den "Mittelschulen" (entsprechend den ersten drei Gymnasialklassen) entfernt hat: "La Latinità possiede ricchezze umane incomparibili ... Sotto questo aspetto - sia detto di passaggio "sine ira et studio" - l' abbandono pratico dello studio della linqua latina nelle scuole secondarie sembre una offesa a Roma ed una autolesione delle civiltà romana."3
K. Rahner, Latein als Kirchensprache, in: Zeitschrift für Katholische Theologie 84 (1962) 257-299.4
Unaquaeque Facultas in lectionibus et examinibus linguam eligat ad scientiae communicationem aptiorem.
Rechtswissenschaft ohne Latein?
Dr. Walter Unterholzner (Absolvia 1926), Senatspräsident, München
"Also ward ich ein Juriste..."
singt Viktor Scheffel in seinem Trompeter von Säckingen,
"... kauft mir eine Ledermappe und ein schweres Corpus iuris..,"
Das Corpus iuris civilis (oder Justiniani), das einheitliche römische Gesetzgebungswerk, das dann im Spätmittelalter in Deutschland die allbekannte "Rezeption" erlebte, ist gewissermaßen ein Standesabzeichen der Juristen geworden, so wie der Äskulapstab für den Mediziner oder der Mörser für den Apotheker und der Rechenschieber für den Techniker.
Das "schwere" Corpus iuris konnte dann später wohl auch ein Alptraum werden, wenn die Professoren bei den mündlichen Prüfungen da zu sehr auf den Zahn fühlten. So ist es mir passiert, daß ich beim Rigorosum eine Stelle aus den Pandekten (Hauptstück des Corpus iuris) aufgeschlagen bekam, das ich zu übersetzen und auszulegen hatte. Da kam es mir zugute, daß wir in Metten in den oberen Klassen einen hohen Stand an Übersetzungspraxis erreicht hatten. Pater Leander Schönberger pflegte uns in der 9. Klasse kein begrenztes "Kapitel" zur Vorbereitung aufzugeben, sondern der Mundvorrat mußte jeweils für eine Stunde ausreichen.
Noch heute wird als Grundlage für das Rechtsstudium das große Latinum verlangt, noch heute sind römische Rechtsgeschichte und römisches Privatrecht vollwertige Prüfungsfächer.
Freilich wird auch an diesen Säulen gerüttelt. Der technisch-soziale Umbruch hat die Krise der bisherigen Konzeption des Lateinunterrichts angeschürt. "Die heranreifenden Massen, die in Krieg und Nachkriegszeit eine Freiheit erworben haben, auf die sie geistig nicht vorbereitet waren, pochen auf eine "praktische Schule", die sie in aller Eile zu Technikern und Fachkräften erziehen soll" (Fritz Gordian). Amerika wird als Beispiel zitiert, daß es auch ohne Latein geht.
Ja, gehen tut alles. Aber wie!
Jede Wissenschaft hat ihre Fundamente. Kein Architekt baut auf Sand. Unser unentbehrlicher Baugrund besteht aus Rechtsgeschichte und aus eindeutigen, organisch gewachsenen Rechtsbegriffen. , Beides wird für den abendländischen Juristen nur durch Latein vermittelt. Zwischen Rom und zweitausend Jahren Abendland besteht ein unzerreißbarer Zusammenhang der Lebensstrukturen und Ideenkämpfe.
Wir leben noch von den Kräften, die Roms Rechts- und Staatsordnung aufbauten und die dem einzelnen Menschen die humane Lebensform ermöglichen.
Auf dem Boden des römischen Privatrechts wurde jener Apparat von Begriffen ausgebildet, die dann als notwendige Kategorien jeglicher Rechtserkenntnis weit über Rom und die vergangene Zeit hinaus Anwendung heischten (Radbruch). Deshalb wird der angehende Jurist an dem klassischen Vorbild des römischen Privatrechts in die zeitlose juristische Begriffswelt eingeführt.
Die Römer hatten das Talent der "anschaulichen Direktheit". Das Bäuerliche in ihnen schlug noch durch, als sie längst Großstädter und urban geworden waren; sie blieben (nach Catull) "pleni ruris". Sie waren von unbestechlicher Nüchternheit, verachteten Geziertheit und Geschraubtheit, hatten ausgeprägten Erwerbs- und Besitzsinn, waren sparsam und pfiffig (Eberle).
Nüchtern sind daher auch die Metaphern ihrer Sprache, knapp und faßlich die Namen, die sie den einzelnen Rechtssituationen und Begriffen gaben, Sie sind weitgehend zur internationalen Nomenklatur geworden, weit über Europa hinaus. Auch der Richter aus Persien, aus Brasilien, aus Japan versteht sie, wie ich selbst aus der Unterhaltung mit Kollegen aus diesen Ländern weiß. Und eine gesteigerte Bedeutung wird dies alles einmal bekommen, wenn ein europäisches einheitliches Zivilrecht geschaffen sein wird, an dessen Anfängen wir heute schon auf internationalen Kongressen gemeinsam arbeiten.
Diese knappe, treffende Ausdrucksweise für gewisse Rechtsformen ist oft außerordentlich reizvoll. Ich kann das in diesem Rahmen nicht mit vielen Beispielen belegen; aber zwei möchte ich wahllos herausgreifen. Ein allgemeiner Rechtssatz: ultra posse nemo tenetur. Auf Deutsch geht das nicht mit vier Worten zu veranschaulichen. Man müßte etwa übersetzen: Keiner kann zu einer Leistung angehalten (verurteilt) werden, die er unter keinen Umständen erbringen kann. So kann keiner etwa zur Herausgabe einer Sache verurteilt werden, die er nicht besitzt. Ein anderes Beispiel: Für jeden Vertrag gilt, auch wenn nicht ausdrücklich verabredet, die clausula rebus sic stantibus; das bedeutet, daß jeder Vertrag nur unter dem Vorbehalt gleichbleibender Verhältnisse Geltung hat; oder genauer: jeder Vertrag gilt nur so lange, als eine grundlegende Änderung der besonderen oder allgemeinen Verhältnisse, die bei Vertragsabschluß vorlagen, nicht eingetreten ist.
Die zahlreichen, schlagwortartig geprägten Rechtsgebilde haben gewissermaßen ein eigenes Leben, das von allen Fachleuten ohne langes Herumreden in seiner vollen Tiefe verstanden wird. Es leuchtet ein, daß es nicht genügen würde, diese Rechtsbegriffe einfach in ein möglichst gutes Deutsch zu übertragen und als Übersetzung dem Nichtlateiner zugänglich zu machen. Eine noch so gute Übersetzung würde den Geist nicht ohne zusätzliche, umständliche Erläuterungen erfassen. Vollends töricht wäre es, dem Nichtlateiner zuzumuten, daß er lateinische Wortbildungen sklavisch auswendig lernt, wie etwa Ortsnamen, und dann gebraucht, gleich einer Zauberformel.
Das Studium der lateinischen Sprache hat aber über alles hier Gesagte hinaus für den Juristen noch eine weitere Bedeutung von großer Tragweite. Latein ist anerkannt als ein hervorragendes Mittel zu geistiger Zucht; es erzieht zur Klarheit der Gedanken und zur Ordnung der Begriffswelt. Jeder Kopfarbeiter und eben auch der Jurist braucht die Ordnung in seinem angesammelten Wissensstoff. Anderenfalls wird er zum konfusen Alleswisser, der nur Unheil anrichtet. Das Erlernen der lateinischen Grammatik leitet schon den Zehnjährigen in besonderer Weise dazu an, allen neu erworbenen Wissensstoff sich geordnet einzuverleiben. Wie wichtig ist das später für den Rechtsstudenten! Spaßhaft sagt man, der Jurist beginne jede Rechtsauskunft mit dem Satz: "Man muß unterscheiden." Das ist in der Tat von ausschlaggebender Wichtigkeit. So hat das Latein auch einen maßgebenden Einfluß auf die Bildung der Persönlichkeit und schließlich auf die menschliche Reife. Wesentliche Lebens- und Rechtsfragen, die den heutigen abendländischen Menschen bewegen, sind in den Werken der lateinischen Literatur durchdacht und in einer unerreichbaren Einheit von Inhalt und Form gestaltet worden, so etwa die Fragen der besten Staatsverfassung, des Naturrechts, des Verhältnisses von Recht und Gerechtigkeit.
Mit tausend Anregungen versehen, die natürlich im Einzelfall nicht immer in optimaler Weise innerlich verarbeitet sind, kommt der junge Lateiner mit dem Reifezeugnis zur Hochschule und besitzt somit den geeigneten Ackerboden für ein fruchtbares Rechtsstudium. Das ist für den angehenden Juristen wichtiger als wenn er in den sogenannten praktischen Fächern die neuesten Sensationen lehrmäßig mitbekommen hätte.
Ergo: Latein ist und bleibt zeitgemäß und meiner Meinung nach unentbehrlich.
Aus dem Jahresbericht des St.-Michaels-Gymnasiums Metten 1967/68.
St.-Michaels-Gymnasium
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