Alkuin


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Leben und Werk :

(* um 730 in Northumbria, + 804 in Tours)

Der angelsächsische Theologe Alkuin (lat. "Albinus") erhielt seine Ausbildung in der Kathedralschule von York, der damals berühmtesten Bildungsstätte in Europa, in der er später selbst Lehrer und ab 766 Schulleiter war. Im Jahre 781 traf er anläßlich einer Romreise in Parma den Frankenkönig Karl den Großen , der ihn aufgrund seiner Gelehrsamkeit als Vermittler der angelsächsischen christlich - lateinischen Bildung und als seinen Berater in kirchlichen, bald auch in politischen Fragen an seinen Hof in Aachen berief und zum Leiter seiner Hofschule ernannte. Dort wurde er bald zum Mittelpunkt einer Schar von Gelehrten und Dichtern. Er reiste zwar mehrmals in seine Heimat zurück, doch verzichtete er auf Bitten Karls letztlich auf eine endgültige Heimkehr. Alkuin war selbst kein Mönch, er besaß selbst auch nur den Weihegrad eines Diakons, doch Karl der Große übergab ihm trotzdem mehrere Klöster, v. a. St. Martin in Tours, zu dessen Abt er 796 ernannt wurde. Alkuin bemühte sich sehr um das Klosterwesen, v. a. um Disziplin und Ausbildung. Die Klosterschule in Tours erlangte unter ihm Weltruf. Auch erwarb er sich in der Sachsen- und Avarenmission Verdienste, indem er sich für den Verzicht auf Zwangstaufen einsetzte und stattdessen für eine wirkliche Überzeugungsarbeit für den christlichen Glauben auf der Basis einer guten Katechese plädierte. Den Mittelpunkt von Alkuins Wirken bildete freilich die Hofschule. Er erzog dort die führende geistige Schicht des Frankenreiches; zu seinen Schülern gehörten nicht nur später bedeutende Persönlichkeiten wie Einhard oder Hrabanus Maurus, sondern auch der König selbst mit seiner Familie. Den Lehrstoff bildeten vor allem die "septem artes liberales", denen Alkuin zu neuer Blüte verhalf. Ein großer Teil von Alkuins literarischen Werken entstand aus seiner didaktischen Arbeit an der Hofschule heraus, wie „De orthographia“ (Über das genaue und sorgfältige Schreiben als Grundlage aller geistigen Arbeit). Eine Reihe von Büchern widmete sich gerade der Förderung der "artes", wie die Lehrbücher für Grammatik, Rhetorik und Dialektik („De grammatica", der „Dialogus de rhetorica et virtutibus“ und „De dialectica"). Außerdem führte er von Tours aus einen Briefwechsel mit Karl dem Großen über dessen Fragen in der Astronomie. Weiter verfasste er dogmatische Schriften, unter denen v. a. Hauptwerk "De fide sanctae et individuae trinitatis" zu nennen ist,  liturgische Schriften, Heiligenviten, Bibelkommentare und diverse Gedichte mit praktischem Zweck, die als Aufschriften für Gebäude, Einleitungsgedichte von Büchern etc. gedacht waren. Nicht gering einzuschätzen ist die historische Bedeutung seiner zahlreichen Briefe. Alkuins Werke verfolgten keinen Selbstzweck, sondern dienten dem Ziel, seinen Zeitgenossen richtiges Handeln und richtiges Sprechen über Gott zu vermitteln. Alkuin bemühte ich um ein reines Latein, wobei ihm die Kirchenväter als Vorbild galten, darüber hinaus führte sein Streben nach einer klaren Schrift zur Ausbildung der karolingischen Minuskel, die wohl kaum als das Werk einer Einzelpersönlichkeit zu sehen ist, jedoch sicher von Alkuin maßgeblich beeinflusst war. Das bedeutendste Zeugnis dafür ist die sog. "Alkuinbibel", die er Weihnachten 800 Karl dem Großen in Rom überreichte. Sie ist nicht erhalten, doch existieren einige weitere "Alkuinbibeln" mit ähnlichen Merkmalen. Die Entwicklung der karolinigschen Minuskel zeugt von dem Bestreben um Einheit der Sprache, der Orthographie und der Schrift, Neben diesen Werken werden Alkuin in frühen Drucken auch die sog. "Propositiones", eine Zusammenstellung unterhaltender mathematischer Aufgaben, zugeschrieben. Sie bilden die älteste mathematische Aufgabensammlung in lateinischer Sprache, doch haben die Probleme als solche Parallelen in ägyptischen, griechischen, chinesischen und arabischen Texten. Alkuin starb 804 in Tours. Er hatte – vor allem durch seine Bedeutung am Hof – großen Einfluß auf die Nachwelt.




Texte

  • Text 1 (Einleitungsgedicht zu "De rhetorica et virtutibus") 

  • Text 2 (Überblick über die Teile der Rede; das exordium) 

  • Text 3 (Einleitungsgedicht zu "De dialectica") 

  • Text 4 (Die Teile der Philosophie) 

 

Text 1

Das folgende Gedicht in elegischen Distichen bildet - hierin sind sich die Gelehrten nicht einig - Anfang oder Ende von Alkuins Rhetoriklehrbuch. Alkuin läßt darin ein Motiv aus Ovids "Ars Amatoria" anklingen: Die Kürze des Lebens und die Notwendigkeit, die verbleibende Zeit zu nutzen. Während Ovid hieraus jedoch die Aufforderung ableitet, die Jugend als Zeit des Liebesgenusses  zu sehen, versteht Alkuin sie als die Zeit des Studiums, der Bildung und der moralischen Formung, um im Alter davon zehren zu können.



O vos, est aetas, iuvenes, quibus apta legendo,
discite: eunt anni more fluentis aquae.
Atque dies dociles vacuis ne perdite rebus:
nec redit unda fluens nec redit hora ruens.
Floreat in studiis virtutum prima iuventus,
fulgeat ut magno laude honoris senex,
utere, quisque legas librum, felicibus annis.
Auctorisque memor dic: "Miserere deus."
Si nostram, lector, festucam tollere quaeris,
robora de proprio lumine tolle prius:
Disce tuas, iuvenis, ut agat facundia causas,
ut sis defensor, cura salusque tuis.
Disce precor, iuvenis, motus moresque venustos,
laudetur toto ut nomen in orbe tuum.


Übersetzungshilfen


Z. 1: Ordne: "vos, iuvenes, quibus est aetas ..."/ Z. 2: Wörtliche Übertragung von Ovid, Ars amatoria, 3, 62; "discite" stammt freilich von Alkuin (bei Ovid stattdessen "ludite") / Z. 3: docilis, e = gelehrig (hier auch: "zum Lernen geeignet") / Z. 4: Eine Paraphrase der beiden folgenden Verse der "Ars": "Nec quae praeteriit, iterum revocabitur unda, nec quae praeteriit, hora redire potest." Z. 7: quisque: hier wie "quisquis" zu verstehen/ Z. 8 : Diese Worte entsprechen dem griech. "Kyrie eleison", dem Beginn der Messfeier. Alkuin wollte wohl viel mehr ernsthaft als humorvoll damit seine Studenten bitten, für sein Seelenheil die Messe zu feiern /  Z. 9: festuca, - ae = der Splitter / . Z. 10: robur, - oris (auch: der Eichenstamm!), hier im Plural "robora" = synonym zu "trabes" = der Balken. Die Stelle bezieht sich auf Mt 7, 3 bzw. Lk 6, 41: "Quid autem vides festucam in oculo fratris tui et trabem in oculo tuo non vides?" Z. 11: Ordne: "Disce, iuvenis, ut facundia tuas causas agat" / facundia, - ae = die Beredsamkeit / causas agere =  Z. 13: motus = hier: Redefiguren / venustus, a, um = schön, fein 

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Text 2 (De rhetorica et virtutibus, 320 - 321 A.)

Folgender Text stammt aus Alkuins "Dialogus de rhetorica et virtutibus". Diesen Dialog gestaltete er wie ein Gespräch zwischen Karl dem Großen ("Carolus") und ihm selbst, seinem Lehrer Alkuin ("Albinus") in der Form des Protokolls einer Unterrichtsstunde. Dabei dürfte es sich nach Ergebnissen der Wissenschaft nicht nur um eine literarische Fiktion handeln, sondern um eine Art "pädagogischen Kunstgriff", mit dem Alkuin auf plastischere Art zeigen wollte, wie seiner Meinung nach Rhetorik gelehrt werden konnte. Dass er den Herrscher selbst als Schüler auftreten lässt, sollte wohl dem Dargestellten besonderen Nachdruck verleihen. Der Inhalt der "Rhetorik" ist fast ausschließlich antik, allerdings findet Alkuins eigenes Bildungsprogramm in dem Kapitel "De virtutibus" (Über die Tugenden im christlichen Bereich) seinen deutlichen Niederschlag. Die Hauptquellen für die Behandlung der Rhetorik selbst sind Ciceros Werk "De inventione" (woraus Alkuin häufig wörtlich zitiert, ohne dies freilich kenntlich zu machen), einige Stellen aus "De oratore" und die seltene Rhetorik des wohl im 4. Jhdt. lebenden C. Iulius Victor. Inhaltlich kann man das Werk also durchaus als "unselbständig" ansehen, doch lag seine Aufgabe eben darin, die antiken Lehren der Rhetorik in pädagogischer Form den eigenen Zeitgenossen zu vermitteln, bestand die Rhetorik doch offenkundig lediglich in der übertriebenen Anwendung angelernter Phrasen und dem Gebrauch einiger weniger Figuren.

Folgender Abschnitt handelt von den Redeteilen; herausgegriffen wurde nach allgemeinen Bemerkungen der unmittelbar darauf folgende Abschnitt über das "exordium".

Parallel zur Lektüre lohnt es sich, "De inventione" I, 20, 22, 23 u. 25 heranzuziehen, um Alkuins exzerpierendes Vorgehen zu studieren.

(Die Lektüre dieses Textes sollte sinnvollerweise nach der Behandlung der Grundlagen der antiken Rhetorik bei Cicero erfolgen.)


Carolus: ...quid tunc quaerendum est, magister? Albinus: Quid, nisi singulae totius causae partes. Carolus: Quae et quot ille sint, audire desidero. Albinus: Sex (enim) sunt partes, per quas ab oratore ordinanda est oratio. Causae exordium, narratio, confirmatio, partitio, reprehensio, conclusio. Carolus: Quid est exordium? Albinus: Oratio animum auditoris idonee comparans ad reliquam dictionem. Carolus: Quomodo hoc efficitur? Albinus: Primo, ut benivolum, attentum, docilem efficias auditorem. Carolus: Ut mihi videtur, hoc summe curandum est, ut benivolus, attentus, docilis efficiatur auditor. Sed quonam modo hoc (idem) effici possit, velim scire. Albinus: Quattuor ex  locis benevolentia comparatur. A nostra, ab adversariorum, a iudicum persona, a causa. A nostra: si de nostris factis et officiis sine arrogantia dicemus; si crimina illata et aliquas minus honestas suspiciones iniectas diluemus; si, quae incommoda acciderint  aut quae instent difficultates, proferemus; si prece et obsecratione humili et supplici utemur. Ab adversariorum autem persona: si eos aut in odium aut in invidiam aut in contemptum adducemus. In odium adducemus, si quid eorum spurce, superbe, crudeliter, malitiose factum proferetur: in invidiam, si vis eorum, potentia, pecuniae, divitiae, cognatio proferentur atque eorum usus arrogans et intolerabilis, et quod his rebus magis videantur quam causae suae confidere; in contemptum adducentur, si eorum inertia, neglegentia, ignavia, desidiosum studium et luxuriosum otium proferetur. Ab auditorum persona benevolentia captabitur, si res ab iis fortiter, mansuete, sapienter gestae proferentur; nequaquam autem assentationis esse hoc significetur, si de iis, quam honesta existimatio quantaque eorum iudicii et auctoritatis exspectatio sit, ostenditur. A rebus, si nostram causam laudando extollemus, aliorum causam per contemptum deprimemus. Attentos autem faciemus, si demonstrabimus ea, quae dicturi sumus, magna, nova, incredibilia esse, aut ad omnes aut ad eos, qui audient, aut aliquos illustres homines aut ad deos immortales aut ad summam  rei publicae pertinere et si pollicemur nos brevi causam nostram demonstraturos atque exponemus iudicationem aut iudicationes, si plures fuerint. Dociles auditores faciemus, si aperte et breviter summam causae exponemus; hoc est, in quo consistat controversia? Sed qui bene exordiri volet, primo necesse est, ut suae causae genus diligenter agnoscat. Carolus: Quot sunt causarum genera? Albinus: Quinque. Honestum, admirabile, humile, anceps, obscurum. Honestum causae genus est, cui statim, sine oratione nostra, favet auditoris animus. Admirabile, a quo est alienatus animus eorum, qui audituri sunt. Humile, quod neglegitur ab auditore et non magnopere attendendum videtur. Anceps, in quo aut iudicatio dubia est  aut causa et honestatis et turpitudinis particeps, ut benevolentiam pariat et offensionem. Obscurum, in quo aut tardi sunt auditores, aut difficilioribus ad cognoscendum negotiis causa est implicata. Carolus: An semper perspicue exordiri debet orator? Albinus: Aliquando perspicue, aliquando per circuitionem. Perspicua oratio est, cui mox animus auditoris favet, ut in honesto genere causae est. Illa vero, quae per circuitionem fit, clam subit animum auditoris, ut in humili, ancipiti vel obscuro causae genere faciendum est. Sed et hoc sciendum est, quod exordium sententiarum et gravitatis plurimum debet habere et omnino omnia, quae ad dignitatem pertinent, ostentationis vero et concinnitatis minimum, propterea quod ex his suspicio quaedam artificiosae diligentiae nascitur, quae maxime orationi fidem et oratori adimit auctoritatem.Carolus: Ecce habeo, quo modo exordiri debeat causa. 

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reprehensio: entspricht der "refutatio", wie sie  (nach gängigen Rhetoriklehrbüchern) in der didaktischen Literatur meist genannt wird; an sich ist aber "reprehensio" der in der Antike wesentlich häufiger gebrauchte Begriff (wie ihn auch Cicero in "De inv. verwendet) / dictio, - onis = der Vortrag / attentus, a, um = aufmerksam/ docilis,  e (siehe Text 1) = belehrbar, gelehrig / quonam = quo-nam / locus = hier am besten: die Seite/ diluere = hier: entkräften / incommodum = Gegenbegriff zu "commodum" (Subst.) / obsecratio, - onis = die Beschwörung / spurcus, a, um = schmutzig / malitiosus, a, um (vgl. FW "maliziös") = übelwollend / cognatio, - onis = die Verwandtschaft, verwandtschaftliche Beziehung / usus = hier (am elegantesten): der Umgang / desidiosus, a, um = träge, müßig, lässig / studium = hier: das Treiben / mansuetus, a, um =  hier: gutherzig / assentatio, - onis = Schmeichelei / significetur: Der Konjunktiv erklärt sich zunächst daraus, dass bei Cicero hier ein "ut" - Satz steht, den Alkuin nicht übernimmt; hier auch ÜS mit Potentialis denkbar. / "significari" = die Bedeutung haben, bedeuten /  iudicatio, - onis = hier: der strittige Punkt / admirabilis, e = hier: auffallend / humilis, e = hier: unbedeutend / anceps, - itis = doppeldeutig / obscurus, a, um = hier: unklar / offensio, - onis = hier: der Anstoß / tardum esse = hier: langsam mitgehen / negotium = hier: synonym zu "res" / perspicuus, a, um = durchsichtig, deutlich, klar / circu(m)itio, - onis = Umweg / sententiarum: abhängig von "plurimum"; sententia = hier: der Gedanke/ ostentatio, - onis = (absichtliche) Entfaltung, Vorspiegelung, Prahlerei / concinnitas, - atis = das Gedrechselte, Gesuchte

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Text 3 und

Alkuins vierte Lehrschrift "De dialectica" stellt wiederum einen Dialog zwischen Alkuin und seinem Schüler Karl dem Großen dar. Inhaltlich ordnet Alkuin zunächst die Dialektik als einen Teil der Logik in die Philosophie als Ganzes ein, daraufhin setzt er die Philosophie in Beziehung zum Christentum, d. h. zu Bibel und Theologie. An die nun folgende Untergliederung der Dialektik schließt sich der Hauptteil an, die Darstellung des Systems der Dialektik.

Alkuin übernimmt inhaltlich gesehen fast alles wörtlich aus seinen Quellen, den pseudo - augustinischen "Kategorien", dem Werk "De topicis differentiis" des Boethius und den "Ethymologien" des Isidor von Sevilla

Um dieses nach dem ersten Augenschein lediglich kompilatorische Vorgehen richtig einzuordnen und Alkuins Leistung adäquat zu würdigen, muß der Leser wissen, dass auf dem Kontinent, zumindest im Merowingerreich, nicht einmal die gebildetsten Menschen von der Dialektik mehr als den Namen und ein paar wenige unklare Begriffe kannten. Alkuin in seinem Selbstverständnis als Lehrer und Erzieher strebte danach, eine sorgsame Auswahl aus dem Überlieferten und Bewährten zu treffen und den in seiner Umgebung verwendeten Bildungselementen, die als einzelne nicht mehr verstanden wurden und daher sinnlos geworden waren, eine feste Ordnung zu geben und sie in ein klares System einzubauen. Sein Ziel dabei war, die Zusammenhänge verständlich zu machen, nicht, selbst neue Theorien aufzustellen. 

Das Epigramm Text 3 ist der "Dialektik" vorangestellt, Text 4 behandelt die Teile der Philosophie. Hierin fußt Alkuin auf weite Strecken auf den "Ethymologien" Isidors (II, c. 22, 23 und 24). 

 

 

Text 3

Me lege, qui veterum cupias cognoscere sensus

me quicumque capit, rusticitate caret. 

Nolo meus lector segnis sit, nolo superbus, 

devoti et humilis pectoris antra colo

Has rogo divitias sophiae non temnat amator, 

navita quas pelagi portat ab orbe suo. 

 

 

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Z. 1:  sensus (Pl.) = hier: Gedanken, Einsichten, Lehren /  Z. 2: rusticitas, - atis = (ländliche) Einfachheit, Einfalt; bäurisches Wesen, Plumpheit / Z. 3: lässig, schlaff, träge / Z. 4: devotus  =  (ma.) gottergeben, andächtig, fromm / antrum, - i = Höhle, Grotte / antra (Pl.) = hier am besten:  die Tiefen, das Innerste / colere = hier: verehren, schätzen, gutheißen / Z. 5: temnere = contemnere / Z. 6: navita = nauta / pelagus = mare; wohl eher auf "navita"  zu beziehen, da die Verbindung "navita" + Gen. des Gewässers bereits im antiken Latein belegt ist / orbis = hier (wohl): Reich, Bereich (falls "pelagi" hierauf bezogen: "aus seinem Bereich, nämlich dem Meer) 

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Text 4 (De dialectica, 335 - 336 A. ) 

Carolus: Quia mentionem philosophiae in priore disputationis nostrae sermone fecimus, videtur condignum, magister, ut aliquanto latiore indagatione de ea disputare incipiamus. Albinus: Faciamus sicuti tuae videtur sapientiae condignum. Carolus: Primum omnium dic, unde dicta sit philosophia. Albinus: Ab amore sapientiae. Graeci philo(n)- amorem, sophiam sapientiam vocant. Carolus: Dic eius quoque definitionem. Albinus: Philosophia est naturarum inquisitio, rerum humanarum divinarumque cognitio, quantum homini possibile est aestimare. Est quoque philosophia honestas vitae, studium bene vivendi, meditatio mortis, contemptus saeculi; quod magis convenit Christianis, qui saeculi ambitione calcata disciplinabili similitudine futurae patriae vivunt. Carolus: Ex qua materia constat? Albinus: Scientia et opinione. Carolus: Scientia quid est? Albinus: Scientia est, cum res aliqua certa ratione percipitur, ut eclipsis solis lunaris corporis obiectu est. Carolus:  Opinio quid est? Albinus:  Opinio est, cum incerta res latet et nulla firma ratione diffiniri potest, ut magnitudo coeli vel profunditas terrae. Carolus:  In quot partes dividitur philosophia? Albinus: In tres : Physicam, ethicam, logicam. Carolus:  Haec quoque Latino ore exprome. Albinus: Physica est naturalis, ethica moralis, logica rationalis. Carolus: Officia singularum specierum pande. Albinus: In physica igitur causa quaerendi, in ethica ordo vivendi, in logica ratio intelligendi versatur. Carolus: In quot species physica dividitur? Albinus: In quattuor: arithmeticam, geometriam, musicam, astronomiam. Carolus: In quot partes dividitur ethica?  Albinus: In quattuor quoque: prudentiam, iustitiam, fortitudinem, temperantiam. Carolus: Logica in quot species dividitur? Albinus: In duas, in dialecticam et rhetoricam. In his quippe generibus tribus philosophiae etiam eloquia divina consistunt. Carolus: Quomodo? Albinus: Nam aut de natura disputare solent , ut in Genesi et in Ecclesiaste; aut de moribus, ut in Proverbiis et in omnibus sparsim libris; aut de logica, pro qua nostri theologicam sibi vindicant ut in Canticis Canticorum et sancto Evangelio. CarolusTheologica quid est? Albinus: Theologica est, quae Latine inspectiva dicitur, qua supergressi visibilia de divinis et coelestibus aliquid mente solum contemplamur. Nam et in has quoque duas partes philosophia vera dividitur, id est, in inspectivam et actualemCarolus: Actualis, quae est? Albinus: Actualis est, quae in operationibus huic vitae mortali necessariis consistit. Per hanc igitur modus  honestus vivendi appetitur et instituta ad virtutes tendentia exercentur; per illam vero Deus amatur, spe et fide colitur. Carolus: Quis est, qui philosophiae detrahere audeat? Albinus: Nullus sapiens. Carolus: Vere nullus sapiens. Sed pergamus ad dialecticae artis inquisitionem. Et primum dic, quid sit dialectica? Albinus: Dialectica est disciplina rationalis quaerendi, diffiniendi et disserendi, etiam et vera a falsis discernendi potens. Carolus: Unde dicta est dialectica? Albinus: Dicta est dialectica, quia in ea de dictis disputatur. Nam "lecton" dictio dicitur. Carolus: Quid est inter dialecticam et rhetoricam? Albinus: Dialectica et rhetorica est, quod in manu hominis pugnus astrictus et palma distenta. Illa brevi oratione argumenta concludit,  ista per facundiae campos copioso sermone discurrit. Illa verba contrahit,  ista distendit. Dialectica siquidem ad inveniendas res acutior,  rhetorica ad inventas dicendas facundior. Illa raros et studiosos requirit; haec frequenter procedit in turbas. 

 

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condignus = dignus (bei der zweiten Erwähnung in der seltenen Verbindung mit dem Genitiv / indagatio, - onis = Erforschung / sophia (griech.) = die Weisheit / natura (hier Pl.) = hier: Wesen der Dinge / inquisitio, - onis = Substantiv zu inquirere / cognitio = Substantiv zu "cognoscere" / honestas, - atis = Ehrbarkeit, Sittlichkeit, Tugend / saeculum = hier: irdische Welt, Weltleben / ambitio, - onis = Ehrgeiz, Ehr- bzw. Ruhmsucht, Eitelkeit / calcare = mit Füßen treten, unterdrücken / disciplinabilis, e = erlernbar, lehrbar; bei Isidor steht "discipinabili conversatione" (conversatio, - onis = Lebensweise, Lebenswandel  / ratio = hier: Methode; logische (verstandesmäßig nachvollziehbare) Überlegung / eclipsis solis = Verfinsterung der Sonne; Sonnenfinsternis / lunare corpus = (Himmelskörper des) Mondes / obiectus, - us = das Davorschieben / diffinire = definire (näher bestimmen) / Physik, Ethik und Logik bilden bereits nach antiker Auffassung (die v. a. auf Aristoteles zurückgeht) die Teilbereiche der Philosophie / naturalis, ... / os = hier: lingua / expromere = darlegen, äußern / pandere = hier: offenbaren, kundtun / causa quaerendi = Ursachenforschung / Arithmetik, Geometrie, Musik und Astronomie bilden innerhalb der "artes liberales" das "Quadrivium" (siehe Einleitung). Inhaltlich werden diese Gebiete schon bei Aristoteles als Wissenschaften betrachtet, entsprechen bei ihm aber der Mathematik, nicht der Physik / Die vier sog. Kardinaltugenden (sie gehen begrifflich wohl schon auf die Popularethik des 5. vorchr. Jahrhunderts in Griechenland zurück, in die kanonische Form wurden die Begriffe von Plato gebracht /  eloquium divinum = das Wort Gottes / Genesis = die Genesis (das erste Buch des Alten Testaments) / Ecclesiastes = (eigtl. "der Prediger") als Buchtitel: "Kohelet" (atl. Weisheitsschrift) / Proverbia = das (atl.) Buch der "Sprüche" / sparsim = verstreut (hier: vertreut in ...)   / theologica, - ae = theologia (die Theologie); theologicam sibi vindicare = den Begriff Theologie (für sich) in Anspruch nehmen / Cantica Canticorum = das Hohelied (atl. Buch) /  inspectivus, a, um = theoretisch, spekulativ, kontemplativ / actualis, e = praktisch angewendet / operatio, - onis = Arbeit, Handlung / detrahere (mit Dat.) = schmähen, lästern, verleumden / (d. ) rationalis differendi = ... in vom Verstand geleiteter Weise Untersuchungen anzustellen / lecton (griech.) = "das Gesagte" / dictio: siehe Text 2 /  pugnus, - i = Faust / astringere (astringo, astrinxi, astrictum) = zusammenziehen, - schnüren; hier: / palma, - ae = (flache) Hand / distendere (distendo, distendi, distentum bzw. - nsum) = ausspannen, ausdehnen, ausstrecken (Der Vergleich geht bereits auf die Stoiker zurück.) / facundia, - ae = Beredsamkeit, Redegabe / copiosus, a, um = ausführlich, wortreich, gedankenreich, beredt / siquidem : wie ein verstärktes "quidem" = denn, freilich  / facundus, a, um = beredt

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Weiterführende Literatur und Links (Auswahl)

 

Lexikon des Mittelalters, Bd. I, Sp. 417 - 420


Brunhölzl, Franz, Geschichte der lateinischen Literatur des Mittelalters, Band I, München 1975, S. 268 - 287

Gerwing, Manfred, Theologie im Mittelalter. Personen und Stationen theologisch - spiritueller Suchbewegungen im mittelalterlichen Deutschland, Paderborn - München - Wien - Zürich 2000, S. 14 - 17

Wallach, Luitpold, Alcuin and Charlemagne, Studies in Carolingian History and Literature (Cornell Studies in classical philology 32), Ithaca, New York 1959

http://www.heiligenlexikon.de/BiographienA/Alkuin.htm (Kurzbiographie Alkuins)

http://www-groups.dcs.st-and.ac.uk/~history/Mathematicians/Alcuin.html
(Informationen zu Alkuins Leben und Werk mit weiteren Literaturangaben; englisch)

http://bsbsbb.bsb.lrz-muenchen.de/~db/0000/sbb00000032/images/index.html
(Eine der Alkuinbibeln)

http://www.jadu.de/mittelalter/bildung/alkuin.html
(Alkuin und die Schule des MA)